Einige grundsätzliche Gedanken zu Stress und Stressbewältigung und zum inflationären Gebrauch des Wortes "Stress"

Stress ist in aller Munde. Der Begriff "Stress" wird täglich zigtausendfach benutzt, privat und öffentlich: Fernsehen, Radio und Zeitungen berichten fast täglich von irgendeinem Stress oder einem gestressten Menschen. Wenn man aber mal genau hinhört und versucht zu verstehen, was denn die einzelnen mit dem Wort "Stress" meinen, fällt einem schnell auf, dass fast jeder dabei über etwas anderes redet, ja dass es offensichtlich keine allgemeine Übereinkunft darüber gibt, was jemand mit dem Wort "Stress" meint; gleichzeitig wird dieses Phänomen aber überhaupt nicht benannt - ja ich habe fast den Eindruck, als handle es sich hier - bei der Nichtbenennung der babylonischen Sprachverwirrung - um ein allumfassendes Tabu!

Meine Grundthese lautet:

Aus der Definition von Stress ergibt sich konsequent, logisch und zwangsläufig die Stressbewältigung)!

(Vergleich: in der Medizin: aus der Diagnose folgt konsequent die Therapie)


Daraus kann man quasi von hinten nach vorne schließen:
Wenn die Bewältigung (Therapie) nicht zum Ziel führt oder geführt hat, war die Definition (Diagnose) falsch und muss überprüft und verändert werden!


I. Allgemeine Definition von Stress:

Wenn man alle Deutschen fragt: "was ist Stress?", bekommt man sehr viele unterschiedliche Antworten, von denen man
70 - 90 % unter die Überschrift:
"Hektik und Überforderung"
zusammenfassen kann.
und daraus folgende Konsequenz:

Aus dieser allgemeinen Definition ergibt sich konsequent, logisch und zwangsläufig die allgemeine Bewältigung: "weg damit" und als weitere Konsequenz: "geht nicht!"

Das bedeutet: Unbeeinflussbarkeit!


Parenthese 1:


  Wenn ein Psychologe, der nach weit verbreiteter Ansicht selber nicht richtig tickt, über etwas redet, was nicht geht, dann scheint das den meisten doppelt unsinnig!!


Aus der allgemeinen Definition von Stress folgt also konsequent die Erkenntnis, dass Stress nicht - oder so gut wie nicht - beeinflussbar und bewältigbar ist!

Diese Erkenntnis darf aber nicht sein, sie wird sofort verdrängt, weil "nicht sein kann, was nicht sein darf". Deswegen werden an dieser Stelle alle möglichen Varianten von "unlogischen" Stressbewältigungsstrategien genannt, empfohlen, angeführt. "Unlogisch" heißt hier entsprechend der Grundthese: das Praktizieren dieser Strategien führt NICHT zur Beeinflussung, Veränderung oder Bewältigung des Stresses! Entsprechend der allg. Definition muss jede Bewältigungsstrategie daraufhin überprüft werden, ob damit "Hektik und Überforderung" reduziert wird.

Als Konsequenzen der allg. verbreiteten, aber verdrängten "Unbeeinflussbarkeitsüberzeugung" sind vor allem die immer weiter um sich greifenden esoterischen Praktiken zu nennen, wie z.B. Feng Shui, Power-Bänder, Astrologie, "die Kraft der Edelsteine", "Bach-Blüten-Therapie", "positives Denken" usw., aber auch solche, die zwar effektiv sein könnten, die jedoch falsch - weil inkonsequent - eingesetzt werden, wie z.B. Entspannung.

Da also die allgemeine Definition von Stress nicht nur zu keiner Lösung, sondern sogar zu einem größeren Gefühl von Unbeeinflussbarkeit des Lebens führt (gelernte Hilflosigkeit führt zu Depression!), ist es sinnvoll, diese allgemeine Definition zu verändern!



II. Wissenschaftliche Definition von Stress:   und daraus folgende Konsequenz:
Änderungsversuch:

Unterscheidung von:

Stressor,

der Stressauslöser trifft auf jemanden und wird von ihm wahrgenommen, dann...




egal wie der Stressor aussieht, ob er groß, mittel oder klein ist, positiv, neutral oder negativ ist, von außen oder von innen kommt: ...
 

Stress und



...reagiert der Organismus im Bruchteil einer Sekunde mit einer Flut von Reaktionen (gleich "Stress"), die, ...





...unser Organismus reagiert immer gleich: Adrenalin wird ausgeschüttet und setzt u.a. Blutzucker frei, der Blutdruck steigt ein wenig an, der Puls steigt ein wenig an, die Atmung beschleunigt sich ein wenig, die muskuläre Anspannung steigt ein wenig an, etliche Botenstoffe werden ausgeschüttet und vieles andere mehr!
 

krankhafte Fernkonsequenz von zu langem und zu schlecht bewältigtem Stress





... wenn sie jahrelang schlecht verarbeitet werden, sich krankhaft verändern können.








bei jahrelanger inadäquater Stressbewältigung können alle Reaktionen krankhaft verändert werden, d.h. zu viel, zu wenig oder ganz ausfallen.
Die Botenstoffe bewirken, dass das mit Zucker und Sauerstoff angereicherte Blut in die Muskeln geschickt wird und dort vor allem in die "großvoluminöse Skelettmuskulatur".

Die wissenschaftliche Definition
von Stress lautet also:

Stress ist die Reaktion des Organismus auf jeden Stressor; Stress ist die Bereitstellung abrufbarer Energie in der großvoluminösen Skelettmuskulatur.
die daraus abgeleitete
Bewältigung

lautet konsequent:

Bewegung!



Weil diese Bewegung i.R. nicht sofort ausführbar ist, könnte man zu dem Schluss kommen, dass diese Stressdefinition auch nicht zu praktikablen Bewältigungsstrategien führt. Da sich die bereitgestellte Energie in der großvoluminösen Skeletmuskulatur im Laufe des Tages aber ansammelt, ist eine Bewältigung auch verschiebbar auf die Zeit nach Feierabend.


Parenthese 2:

man weiß aus der Stressforschung schon lange, dass nur ein mittleres Stressniveau zu optimalen Leistungsergebnissen führt; weder zu wenig Strssoren noch zu viele führen zu optimaler Leistung!

Parenthese 3:

die evolutionäre Entwicklung der Stressreaktion: die Jäger und Sammler sind im Schnitt 40 km pro Tag gelaufen, um sich ihre Nahrung zu sammeln. Wenn ein Steinzeitmensch nach einem anstrengenden Tag einer lebensbedrohenden Gefahr ausgesetzt war - wie z.B. einem angreifender Säbelzahntiger - hat die angeborene Stressreaktion ("resistent ablaufendes Unterprogramm" im ZNS: in 0,8 sec. Zucker und Sauerstoff in die großvoluminöse Skelettmuskulatur) das Überleben ermöglicht. Unser ZNS steht noch auf der Stufe des Steinzeitmenschen, so dass alle Stressoren - wie z.B. Chefs - als Säbelzahntiger oder Höhlenbären interpretiert werden, vor denen weglaufen muss oder die man totschlagen muss!


Erfahrungsgemäß weiß fast jeder Mensch, dass man täglich entweder :
1 Stunde Radfahren oder ½ Stunde Laufen oder 20 Min. Schwimmen sollte!
Nur: die meisten tun es nicht!!!

Warum nicht?

Auf diese Frage gibt es viele Antworten, die man unter drei Überschriften fassen kann:

1. ich bin abends müde und kaputt:


Wenn man mehrere Stunden am Tag, vor allem in der zweiten Tageshälfte, über der oberen Optimalitätsgrenze fährt, folgt als Konsequenz das subjektive Gefühl des sich-müde-und-kaputt-Fühlens! Die objektive Situation in der Muskulatur ist dem konträr entgegen: die Muskeln sind voll mit Zucker und Sauerstoff, weil man sich aber müde und kaputt fühlt, macht man das Gegenteil dessen was sinnvoll ist: "Beine hoch, Zigarette an, Bier her und Fernsehen an", bzw. fällt dann wieder auf unsinnige, inadäquate Bewältigungsstrategien zurück, die sich aus der falschen Definition ergeben (s.o.) und dann natürlich nicht zum Ziel führen!

 

2. ich habe keine Zeit:


Zeitmanagement - nicht nur im Beruf - ist in der heutigen Zeit ein schwieriges Problem. Eine einfache Analyse der "Zeiträuber" führt aber häufig zu dem Ergebnis, dass wir manchen Aktivitäten quasi zwanghaft Wichtigkeit zusprechen, die sie nicht haben müssten! Die Zeit in einer Kur- und Rehaklinik soll die Möglichkeit geben, den Alltag neu zu überdenken und verschiedene Weichen anders zu stellen, um aus diesem Dilemma zu kommen!

 

 

3. ich habe keine Lust, (weil ich keine negativen Konsequenzen fürchte)!

Der Organismus arbeitet i.R. nachts im Tiefschlaf die Muskeln wieder annähernd frei; aber leider nur annähernd: d.h. man fängt am nächsten Morgen auf einem unmerklich höheren Niveau an und schaukelt sich auf diesem Wege langsam, sicher und unbemerkt hoch mit seinem internen Stressniveau. Konsequenz nach mehreren Jahren: alle Formen von Nervosität, Psychosomatische Störungen, Schlafstörungen usw.!

 

 


These:
  1. Etwa 70% aller Arbeitnehmer, die mit dem Auto zur Arbeit fahren, haben ihren Arbeitsplatz im Umkreis von 10 km um ihre Wohnung;
  2. etwa 50% aller Bewegungen mit dem PKW enden nach spätestesn 5 km!
Alle diese Bewegungen können zu Fuß oder mit den Fahrrad gemacht werden!
Vorteile:
  1. mehr Bewegung
  2. weniger Umweltbelastung



Fazit:
Bewegung ist das Fundament jeder Stressbewältigung!
Ohne Bewegung ist alles andere ziemlicher Unsinn!



"Fundament" ist hier im hausbaulichen Sinne zu verstehen, d.h. u.a. dass man auf ein Fundament etwas aufbauen muss, zumindest ein Keller- und ein Wohngeschoss usw. Also: nur Bewegung ist auch Unsinn!


Zitieren nur mit meiner ausdrücklichen Genehmigung:
Dipl.-Psych. Martin Junghöfer